Poetry Debates IV: „Lyrik nach der Natur“ – ein Rückblick
8. Mai 2025

Foto: Benedikt Stamm
Drängende poetische und politische Fragen rund um das menschliche Verhältnis zur mehr-als-menschlichen Umwelt standen in der vierten und letzten Reihe der Poetry Debates unter dem Titel „Lyrik nach der Natur“ im Zentrum. In drei öffentlichen Abendveranstaltungen* begegneten sich Poet:innen, Performer:innen und Wissenschaftler:innen, um über die Potenziale der Poesie in ökologisch zunehmend krisenhaften Zeiten zu diskutieren. Aufgegriffen wurden aktuelle poetologische, kulturelle und gesellschaftliche Debatten, die etwa das Spannungsfeld von Kunst und Aktivismus betreffen. Konzipiert und kuratiert wurde diese Debattenreihe von Antje Schmidt in Zusammenarbeit mit Claudia Benthien.
Die erste Abendveranstaltung im Hamburger Warburg-Haus fragte nach dem Stand des Naturgedichts in Zeiten einer emphatischen Verabschiedung vom Konzept der ‚Natur‘. Zu Gast war die Literaturwissenschaftlerin Cornelia Zumbusch, die einen Impulsvortrag zu Tradition und Gegenwart des Naturgedichts vor dem Hintergrund der theoretischen Debatte zum (vermeintlichen) Ende der Natur hielt. Sie bezog sich dabei auch auf die andere Gäst:in dieses Abends, die Poetin Carla Cerda, die im Anschluss aus ihren Gedichtbänden Loops (2020) und Ausgleichsflächen (2023) las, in denen globale wie lokale Verflechtungen aus Ökologie und Technologie poetisch avanciert verhandelt und in ihrer enormen Komplexität aufgefächert werden ‚wie Browser-Tabs‘ auf einem Screen. In der anschließenden Debatte, die von Antje Schmidt moderiert wurde, standen etwa der Einfluss individueller, digitaler Arbeits- und Recherchetechniken auf das schreibende Verhältnis zur Umwelt im Mittelpunkt, ebenso wie Fragen nach der menschlichen Verantwortlichkeit – gerade angesichts der großskaligen technologischen Eingriffe in planetare Ökologien. Poesie, so Carla Cerda, habe die Aufgabe, die ‚Natur‘ in ihrer Prozesshaftigkeit und historischen Gewordenheit spürbar zu machen.
Am zweiten Abend der Debattenreihe, der in Kooperation mit dem Lyrischen Foyer stattfand, waren wir zu Gast in der Kunstklinik Eppendorf. Zu „Climate-Fiction im Gedicht“ diskutierten Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Sophie Witt und Poet:in Rike Scheffler. Moderiert wurde der Abend von PoetryDA-Fellow Eckhard Schumacher. Lesung, Vortrag und Gespräch kreisten um die Frage gegenwärtiger multimodaler Lyrik als ‚Archiv möglicher Zukünfte‘. In ihrer Lecture Performance verband Rike Scheffler zunächst eine Lesung aus ihrem Gedichtband Lava.Rituale (2023) mit dem Screening eines Kunstfilms, der zum gleichnamigen multimodalen Werkkosmos zählt. Anschließend erörterte Sophie Witt in ihrer Präsentation Climate-Fiction als ökofuturistisches Genre und thematisierte die Lizenzen der Lyrik, experimenteller mit anthropozentrischen Gattungskonventionen umgehen zu können als etwa die Prosa. Im Podiums- und Publikumsgespräch ging es vielfach um Fragen des – aktivistisch wie poetologisch verstandenen – „to do“ (so ein Gedichttitel Schefflers) angesichts der Klimakatastrophe. Scheffler führte aus, dass es ihr mit ihrer Poesie darum gehe, neue Sprachrealitäten und Handlungsweisen zu erproben, die Effekte auf gegenwärtige Seinsweisen haben können.
Die dritte Poetry Debate, und damit die letzte, widmete sich im Nachtasyl des Thalia Theater „Lyrik als aktivistischer Praxis“. Nach einer Einführung durch die Moderatorin des Abends, Claudia Benthien, die die tradierte Verschränkung von Spoken Word und Aktivismus akzentuierte, präsentierte der Literaturwissenschaftler Frieder von Ammon einen Impulsvortrag zur Geschichte der Lyrik als politische und aktivistische Praxis. Mit Verweis auf historische Gattungen wie das Arbeiterlied argumentierte er, dass die literaturwissenschaftliche Unterscheidung zwischen vermeintlich autonomer Kunstlyrik und aktivistischen Gebrauchsformen falsche Dichotomien erzeuge. Lyrische Formen hätten seit jeher das Potenzial, bewusstseinsformend auf Rezipierende einzuwirken. Poet:in und Philosoph:in Samuel Kramer performte darauf Spoken-Word-Texte und Gedichte mit Bezug zur Thematik des Abends. Im Rahmen des Podiumsgesprächs wurde etwa über die spezifische Wirkung performter Lyrik diskutiert, in der politische Inhalte durch eine:n Poet:in verkörpert werden und über die Gebrauchsweisen und Funktionen aktivistischer Lyrik, etwa das Stiften von Gemeinschaft. Kramer berichtete, dass besonders die Verteilung seiner eigenen Ressourcen – Kunst vs. andere Formen von Aktivismus – herausfordernd sei und betonte doch die Rolle der Poesie als Teil einer kollektiven klimaaktivistischen Praxis.
Wir danken allen Kooperationspartner*innen, Gäst:innen und dem anwesenden Publikum für die anregende Debattenreihe. Links zu den Videoaufzeichnungen der Veranstaltungen finden sich in der Rubrik Audio- und Videomaterial.
* Die Poetry Debate IV.III, die auf April 2025 verschoben wurde, musste leider aus organisatorischen Gründen entfallen.