Poetry Debates II: „Poesie und Technologie“ – ein Rückblick
20. Dezember 2022

Foto: privat
Die komplexen Beziehungen zwischen „Poesie und Technologie“ waren das Thema der zweiten Reihe der „Poetry Debates“, die im Herbst 2022 stattfand. Drei öffentliche Abendveranstaltungen brachten Dichter:innen, Performer:innen und Wissenschaftler:innen zusammen, um unterschiedliche Positionen zu diesem Thema zu debattieren. Konzipiert und kuratiert wurde die Reihe von Vadim Keylin in Zusammenarbeit mit Claudia Benthien.
Die erste Veranstaltung hat sich sich mit zeitgenössischer experimenteller Lyrik, die mit digitalen Medien produziert und gestaltet wird, beschäftigt. Im voll besetzten Nachtasyl des Thalia Theaters eröffnete Heike Fiedler den Abend mit einer ihrer audiovisuellen Live-Performances, in der sie mehrsprachige Gedichte (u. a. in deutsch, französisch, englisch) mit Bewegtbild und kinetischen Texten, Soundeffekten und Sampling verbindet. Danach fragte Marc Matter in einem theoretischen Impulsvortrag, welche Rolle Medienkompetenz für das poetische Handwerk im digitalen Zeitalter spielt. In der Podiumsdiskussion ging es sowohl um die Möglichkeiten, als auch um die Einschränkungen, die mit der Nutzung digitaler Medien als Produktionsmittel und als kompositorische Werkzeuge verbunden sind.
Die zweite Debate im Literaturhaus Hamburg hat sich der umstrittenen Frage nach der Kreativität von künstlichen Intelligenzen gewidmet. Die Dichterin und Künstlerin Zuzana Husárová stellte die Lyrik von Liza Gennart vor, eine von ihr und dem Software-Entwickler Ľubomír Panák aus künstlichen neuronalen Netzen erzeugten Dichterin, die zwar nur im virtuellen Raum existiert, aber bereits einen Lyrikband publiziert hat. Auch die Literaturwissenschaftlerin Wiebke Vorrath, die zu digitaler Poesie forscht, nutzte in ihrem wissenschaftlichen Impulsvortrag automatisch generierte Texte einer KI, welche die ersten Sätze ihres Vortrags 'geschrieben' hat. Obwohl dieser automatisch generierte Text nicht ihrem persönlichen Stil entspräche, so Vorrath, sei doch eine erstaunlich passende Einführung entstanden, die auch das Publikum nicht auf Anhieb als nicht-menschlichen Ursprungs erkannt habe. In der anschließenden Diskussion gab Husárová Einblicke in den Entstehungsprozess der Gedichte und berichtete von ästhetischen Überraschungen, die ihr die KI-Lyrik Liza Gennarts bereitet. Zudem wurde die Rolle von Autor:innenschaft der KI-generierten Gedichte diskutiert.
Die dritte Veranstaltung „Live-Lyrik als Widerstand gegen Technologie” in der Katholischen Akademie musste von Nora Gomringer aus privaten Gründen leider abgesagt werden. Sie wird voraussichtlich im Frühjahr 2023 nachgeholt.
Die letzte Debate fand unter der Überschrift „Lyrik und ‚Harte Wissenschaften‘“ im Warburg Haus statt. Der Psycholinguist Stefan Blohm gab einen Einblick in die Möglichkeiten der empirischen Lyrikforschung, welche unter anderem mittels Leser:innenbefragungen, Blickbewegungs- oder Gänsehautmessungen den Einfluss der Textstrukturen auf die individuelle Textverarbeitung untersucht. Im Anschluss las der Lyriker Daniel Falb eine Auswahl aus seinen Gedichtbänden CEK und Orchidee und Technofossil vor. Er sprach unter anderem über die Relevanz interdisziplinärer Ansätze, um die Situation des Menschen im Anthropozän adäquat beschreiben zu können sowie über Aspekte der Unvermittelbarkeit, welche sich sowohl in der Lyrik als auch in den ‚Harten Wissenschaften‘ finden lassen. Die abschließende Diskussion beleuchtete Fragen der Relevanz empirischer Lyrikforschung, dem jeweiligen Verständnis von Lyrik im Zeitalter der Natur- und Ingenieurswissenschaften.
Alle Veranstaltungen wurden aufgezeichnet. Die Links zu den auf dem Portal Lecture2Go platzierten Videos finden sich in der Rubrik Audio- und Videomaterial auf dieser Website.
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Die nächste Reihe der Poetry Debates wird im Herbst 2023 stattfinden; erneut an der Universität Hamburg und an weiteren Veranstaltungsorten in der Stadt. Sie wird die Frage „Wem gehört Lyrik?“ erörtern. Alle Informationen dazu finden sich rechtzeitig auf dieser Website.